Häufige Fragen und Antworten zur 2. Ausgabe DGUV-I 203-077: 09/2020

  • A1 - Was ist neu bei der 2. Ausgabe 09/2020 der DGUV-I 203-077?

    Neben der Aktualisierung der Normengrundlagen (Anhang A1 und A2), einer sehr klaren Verfolgung des T-O-P-Prinzips und der Konkretisierung des Gültigkeitsbereichs (Abschnitt 1) sind zwei Punkte besonders zu benennen.

    Das ist zum einen die Integration von Störlichtbögen im Gleichstrombereich (DC-Bereich). Hier wird jetzt auch für Gleichstrom-Störlichtbögen (DC-Störlichtbögen) ein Verfahren zur Bestimmung der Energie, die bei einem Störlichtbogenereignis frei wird, beschrieben (Abschnitt 4.3 und Anhang A 3.4). Anhand dessen kann - in Analogie zum Verfahren für Störlichtbögen in Wechsel- und Drehstromsystemen (AC-Störlichtbögen) – die geeignete Persönliche Schutzausrüstung gegen die thermischen Gefahren eines Störlichtbogens (PSAgS) ausgewählt werden.

    Zweitens ist das Einfügen einer Risikobetrachtung zu nennen mit einem Risikographen, der dort weiterhelfen kann, wo bisher die PSAgS-Auswahl endete (Abschnitt 3.1 und Anhang A 4). In der ersten Ausgabe der DGUV-I 203-077 (10/2012) wurde nur die Schadensschwere in den Fokus genommen. Jetzt wird zusätzlich noch die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Verletzung durch einen Störlichtbogen betrachtet. Dabei werden Aspekte wie der Zustand der Anlage, Werkzeuge und technische Mittel, die zur Verfügung stehen, organisatorische Maßnahmen, die Qualifikation der Mitarbeiter, Unfallstatistiken und weiteres berücksichtigt, um abschätzen zu können, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Störlichtbogenunfall passieren kann bzw. wie diese Wahrscheinlichkeit durch ein Risikomanagement (Festlegen von Zusatzmaßnahmen) reduziert werden kann.

    Für die Anwender werden Exceltools bereitgestellt, mit deren Hilfe die Auswahl der PSAgS einschließlich der Risikobetrachtungen vorgenommen werden kann.

    In der 2. Ausgabe 09/2020 wird deutlich hervorgehoben, dass sich der Anwendungsbereich nicht allein auf das Arbeiten unter Spannung (AuS) begrenzt, sondern sich auf alle Tätigkeiten an elektrischen Anlagen erstreckt, wo mit einer Störlichtbogengefährdung zu rechnen ist (Abschnitt 1).

    Die Beispielsammlung (Anhang A5) ist erweitert worden. Außerdem ist eine neue Anlage entstanden, in der vereinfachte Methoden angegeben sind, mit deren Hilfe PSAgS und Vorsicherungen in 400-V-AC-Netzen koordiniert ausgewählt werden können (Anhang A7).

  • A2 - Wie ist der Anwendungsbereich der DGUV-I 203-077 definiert?

    Der Fokus der DGUV-I 203-077 liegt auf leistungsstarken Elektroenergieanlagen mit Spannungen größer 50 V (Abschnitt 1) und schließt Hausinstallationen, Verteilungsnetze und Industrienetze ein. Die Aussagen sind uneingeschränkt für Nieder- und Mittelspannungs-Systeme im AC-Bereich (Wechsel- und Drehstromsysteme bis 30 kV AC) und Niederspannungssysteme im Gleichstrom-Bereich (Spannungen bis 1500 V DC) gültig.

    Grundsätzlich ausgenommen sind Hochspannungssysteme ab 110 kV AC und Systeme der Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ). (siehe auch FAQs I.1 und I.2)

    Unter bestimmten Voraussetzungen ist die Ausbildung von stabilen Störlichtbögen mit personengefährdenden thermischen Wirkungen nicht wahrscheinlich. So können Arbeiten an Mess-, Steuer- und Regelungsanlagen (MSR) mit Stromkreisabsicherungen bis 25 A ausgeklammert werden. Ebenfalls kann bei Arbeiten an 400-V-AC-Netzen (z.B. Hausinstallationen) auf die Betrachtungen verzichtet werden, wenn eine vorgelagerte Absicherung bis 63 A vorliegt oder die Kurzschlussströme einen Grenzpegel von 1000 A nicht übersteigen.

  • A3 - Welche Aspekte und Kriterien wurden bei den Risikobetrachtungen berücksichtigt?

    Ein Risiko stellt immer das Produkt aus dem Grad bzw. der Schwere eines Schadens und der Eintrittswahrscheinlichkeit dieses Ereignisses dar. Im Hinblick auf die Personengefährdung durch thermische Störlichtbogenwirkungen betrifft dies die Schwere und die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Verletzung in Form von Hautverbrennungen. (Anhang 4 „Anwendung der Risikomatrix“)

    Für die Schwere einer Verletzung ist die Höhe der Lichtbogenenergie maßgeblich, die bei Einwirkung eines Störlichtbogens frei wird. Da eine ausgewählte Persönliche Schutzausrüstung gegen die thermischen Gefahren eines Störlichtbogens (PSAgS) bis zu ihrem energetischen Schutzpegel (Anhang A 3.4.6) vor Hautverbrennungen 2. Grades schützt, ist es zweckmäßig den Erwartungswert der Lichtbogenenergie auf den PSAgS-Schutzpegel zu beziehen und mit diesem Verhältnis die Schwere der Verletzung zu charakterisieren (Anhang A 4.2).

    Die Eintrittswahrscheinlichkeit orientiert sich an der Häufigkeit des Auftretens möglicher Verletzungen (Anhang A 4.3). Das ist die erwartete, durchschnittliche Verletzungshäufigkeit der Beschäftigten, die auf Basis von Art, Umfang, Komplexität der durchzuführenden Tätigkeit und der jeweils getroffenen Schutzmaßnahmen (T-O-P-Prinzip) abzuschätzen ist. Ausgangspunkt der Bewertung ist der mittlere zeitliche Abstand, der statistisch zwischen zwei Verletzungen liegt. Die Häufigkeit ergibt sich als Kehrwert.

    Die Kombination von Schweregrad und Häufigkeit ergibt das Risiko für eine Verletzung. Sie ermöglicht es, akzeptable Restrisiken und Maßnahmen zu deren Erreichung festzulegen.

    Bei Risikobetrachtungen sind einerseits die Maßnahmen zur Veränderung des o.g. Lichtbogenenergieverhältnisses heranzuziehen. Dazu gehören vor allem netztechnische Maßnahmen, die Einhaltung von Mindestarbeitsabständen und Maximalabschaltzeiten des Schutzes und der Einsatz von PSAgS mit erhöhten Schutzpegeln. Andererseits lässt sich durch die Berücksichtigung von Art und Zustand der betreffenden Anlage, von statistischen und ergonomischen Einflussfaktoren sowie die Festlegung von Maßnahmen zur Ausbildung und Befähigung des Personals die zu erwartende Verletzungshäufigkeit verringern.

  • A4 - Was verbirgt sich hinter dem T-O-P-Prinzip beim Störlichtbogenschutz?

    Das T-O-P-Prinzip besagt grundsätzlich, dass beim Personenschutz und der Reduzierung von Personengefährdungen eine Hierarchie verfolgt werden sollte, in der an erster Stelle technische Maßnahmen und Mittel stehen, an zweiter Stelle auch organisatorische Maßnahmen in Betracht zu ziehen sind und danach schließlich personenbezogene Mittel eingesetzt werden.

    Im Hinblick auf den Störlichtbogenschutz bedeutet dies, dass bei der Bewertung und Festlegung von Maßnahmen gegen die thermischen Gefährdungen durch Störlichtbögen der Einsatz von personenbezogenen Mitteln in Form von Persönlicher Schutzausrüstung gegen die thermischen Gefahren eines Störlichtbogens (PSAgS) nachgeordnet zu technischen und organisatorischen Maßnahmen zu verfolgen ist. PSAgS soll das verbleibende Restrisiko nach Anwendung der ergriffenen technischen und organisatorischen Maßnahmen, die sich zuerst auf die Verhinderung bzw. Reduzierung der Entstehungswahrscheinlichkeit von Störlichtbögen orientieren und dann auf eine Begrenzung von Störlichtbogenwirkungen ausgerichtet sind, minimieren.

    Technischen Maßnahmen beziehen sich sowohl auf die Gestaltung und Konstruktion der Anlagen (Bauweisen, Isolierabstände, Schottungen, Barrieren, Geräteeinsatz, Retrofit etc.) und Bauartprüfungen an Schalt- und Verteilungsanlagen als auch die Art und Einstellung der elektrischen Schutzeinrichtungen, den Einsatz separater Lichtbogenschutzsysteme, Anlagenmonitoring und -diagnose und anderes. Organisatorische Maßnahmen betreffen die Arbeitsorganisation, die Arbeitsverfahren, die Ausbildung und Unterweisung des Personals, die Herstellung geeigneter Netzschaltzustände während der Arbeiten, die Vorgabe von Mindestarbeitsabständen u.v.m. Die personenbezogenen Maßnahmen sind hauptsächlich auf den Einsatz geprüfter und zertifizierter PSAgS ausgerichtet, die Schutzkleidung, Schutzhandschuhe und einen Gesichts- und Augenschutz umfassen.

  • A5 - Gibt es eine englischsprachige Ausgabe der DGUV-Information 203-077?

    Die DGUV-I 203-077 ist 07/2021 auch in englischer Sprache unter dem Titel „Thermal hazards due to electric fault arcing – Guide for selecting personal protective equipment” veröffentlicht worden und kann über die BG ETEM bezogen werden und steht in der Servicebox als Download bereit. Die Arbeitsblätter und Excel-Dateien für die Berechnungen (Anhang A 8 und Abschnitt 5) finden Sie ebenfalls in der Servicebox.

  • A6 - Wird die DGUV-I 203-077 regelmäßig aktualisiert?

    Die 2. Ausgabe der DGUV-I 203-077 ist sehr umfangreich und umfasst auch 10 typische Anwendungsbeispiele (Anhang A 5). Für eine breite und qualifizierte Nutzung ist eine laufende Aktualisierung angezeigt.

    Es besteht das Vorhaben, die DGUV-I ständig zu aktualisieren, ohne dass jeweils eine Neuausgabe notwendig wird. Dazu ist vorgesehen, regelmäßig auf einer korrespondierenden Webseite weitere technische Erläuterungen und Informationen zu geben, ggfs. weitere Beispiele zu sammeln, auch FAQs aufzuführen, um bestimmte Fragen, die aus der Praxis kommen, dort zeitnah zu beantworten und Zusatzinformationen zur Verfügung zu stellen. Auch soll die Möglichkeit eröffnet werden, dass Anwender dort ihre Fragen platzieren können. Es soll also ein lebendiges Auswahlinstrumentarium entstehen, bei dem Aktualisierungen nicht davon abhängig sind, dass eine nächste Ausgabe erscheint.

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