Häufige Fragen und Antworten zu Störlichtbögen in Hochspannungsanlagen

  • J1 - Gibt es Forschungsarbeiten zu Störlichtbögen in Hochspannungsanlagen?

    Das Electric Power Research Institute (EPRI) in den USA hat Studien zur thermischen Belastung durch Lichtbögen in luftisolierten Hochspannungsanlagen, insbesondere in Freileitungen und Umspannwerken, durchgeführt. Ziel war es, eine allgemeine Methode zur Berechnung von Hochspannungslichtbögen zu entwickeln, die für ein breites Spektrum von Hochspannungsfreiluftanlagen gilt. Um Grundlagen für entsprechende Vorschriften (wie die NESC- und die OSHA-Vorschriften) zu schaffen, wurden Forschungsarbeiten begonnen, die auf umfassende Erkenntnisse

    • zu den potenziellen thermischen Gefahren durch Hochspannungslichtbögen,
    • zu Abhilfemaßnahmen und zu Anforderungen an Schutzkleidung (FR-Kleidung mit angemessenen Wärmedurchgangswerten),
    • zu technischen und organisatorischen Maßnahmen zur Minimierung des thermischen Energieniveaus (z. B. reduzierte Ausschaltzeiten) sowie
    • zu Arbeitsverfahren zur Minimierung der potenziellen Exposition von Personen (z. B. Verlagerung von Personen aus dem Gefahrenbereich

    ausgerichtet sind.

    Eine gründliche Untersuchung von weit verbreiteten, bestehenden Methoden und Ansätzen für Berechnungen hat ergeben, dass jede von ihnen eigene Grenzen hat. In den Berichten werden mehrere Lichtbogenmodelle für den Übertragungsspannungsbereich diskutiert. Diese sind zwar ausschließlich auf die Modellierung langer Lichtbögen und deren Bewegungen zugeschnitten und ermöglichen Vorhersagen des transienten elektrischen Verhaltens von Übertragungssystemen bei Lichtbogenfehlern, sie beschreiben jedoch nicht die Menge der freigesetzten thermischen Energie.

    Die Forschungsarbeiten sind bisher nicht abgeschlossen. Ein vollständiges Konzept zum Lichtbogenschutz im Hochspannungsbereich existiert noch nicht.

  • J2 - Gibt es Literatur zur PSAgS-Auswahl für Hochspannungsanlagen?

    Die meisten in der Literatur aufgeführten Methoden und Gleichungen dienen der Analyse von Lichtbogengefährdungen in Nieder- und Mittelspannungsanlagen.

    Highspeed-Aufnahmen und Prüfergebnisse führen jedoch zu der Schlussfolgerung, dass die Gleichungen und Werte der Koeffizienten nicht direkt auf Störlichtbögen bei sehr großen Elektrodenabständen im Freiluftbereich, wie beispielsweise bei Hochspannungs-Freileitungen und Umspannwerken, anwendbar sind.

    In der Literatur gibt es eine Reihe von Parameterangaben zu Kennwerten von Hochspannungslichtbögen allgemein. Diese differieren jedoch zum Teil stark voneinander und sind hinsichtlich des Gültigkeitsbereichs nicht oder nicht eindeutig zugeordnet.

    Speziellere Untersuchungen mit Bezug zu Personengefährdungen wurden bei EPRI durchgeführt. Dabei wurden Hochstrom-Tests in Elektrodenanordnungen mit vertikal gegenüberstehenden Stahlelektroden im Spannungsbereich von 115 kV, 230 kV und 345 kV durchgeführt. Auch Lichtbögen in Nachbildungen von Stahlgitter-Freileitungsmasten wurden untersucht. Die Erkenntnisse wurden in folgenden Literaturstellen zusammengefasst:

    [1] Arc Flash Issues in Transmission and Substation Environments: Results from Tests with Long Arcs. EPRI, Palo Alto, CA: 2011. 1022632

    [2] Arc Flash Issues in Transmission and Substation Environments: Modeling of Incident Thermal Energy of Long Arcs. EPRI, Palo Alto, CA: 2011. 1022633.

    [3] Yutaka Goda, Mikimasa Iwata, Koichi Ikeda, and Shin-ichi Tanaka, “Arc Voltage Characteristics of High Current Fault Arcs in Long Gaps”, IEEE TRANSACTIONS ON POWER DELIVERY, VOL. 15, NO. 2, APRIL 2000, pp. 791-795.

  • J3 - Welche Besonderheiten gibt es für Störlichtbögen im Mittelspannungsbereich (Anlagen 1…30 kV) zu beachten?

    In luftisolierten Anlagen bilden sich Störlichtbögen meist dreipolig aus; es existieren in der Regel Teillichtbögen zwischen den Leitern. Die Höhe der Lichtbogenspannungen ULB wird vor allem durch die Lichtbogenlänge und damit den Elektrodenabstand d beeinflusst. Die Spannungswerte zeigen auch eine Tendenz zur Erhöhung bei wachsender Netzspannung und größeren Kurzschlussströmen. Die Lichtbogenlänge entspricht jedoch meist nicht allein dem Elektrodenabstand, sondern kann unter Umständen sogar ein Vielfaches davon annehmen. Dies wird hauptsächlich durch ein Aufweiten der Lichtbogenschleifen und Wanderungsvorgänge verursacht, die durch thermischen Auftrieb, magnetische Einflüsse und weitere thermodynamische Vorgänge entstehen. Häufig treten im Verlauf eines Lichtbogenfehlers deutliche Veränderungen der Lichtbogensäule auf, sodass sich während des Fehlers mehr oder weniger stark anwachsende Lichtbogenspannungswerte einstellen. Neben Netzspannung und Kurzschlussstrom beeinflussen auch die Leiteranordnung und -konfiguration (horizontal, vertikal, koplanar in einer Ebene oder versetzt/triangular) sowie die Leiterumgebung und die Umfeldbedingungen (Umhausungen, Kapselungen, Schottungen, Barrieren) die Ausbildung und Verlängerung der Lichtbogensäulen. Dadurch ergeben sich große Werte- bzw. Streubereiche der Lichtbogenspannungen bei einem bestimmten Fehler, sodass auch Mittelwerte nur schwer allgemeingültig angegeben werden können. Das gilt insbesondere auch für offene Anlagen. Zudem besteht aufgrund der großen Bandbreite der weiteren Einflüsse (Leiter- und Umfeldkonfigurationen der verschiedenen Anlagen) die Notwendigkeit, dass belastbare Lichtbogenspannungswerte eine Mehrzahl der möglichen Szenarien abdecken. Die Lichtbogenspannungen müssen bekannt sein, um die Lichtbogenleistung und -energie bestimmen zu können.

    Eine Einzelbetrachtung spezieller Anlagenkonfigurationen scheitert bereits an der Vielzahl unterschiedlicher Anlagen und der fehlenden Datenbasis zur statistischen Absicherung typischer Werte. Es ist also angezeigt, aus durchgeführten Labormessungen Richtwerte abzuleiten, die eine möglichst umfassende Abdeckung gewährleisten. Diese Besonderheiten werden bei der Ermittlung der Lichtbogenenergie, die insbesondere auf den Niederspannungsbereich zugeschnitten ist (siehe Abschnitt 4.2.2 und Anhang A 3.4.4), nicht konkret betrachtet. Deshalb müssen sie in den Berechnungsansätzen für die Erwartungswerte der Lichtbogenenergie im Mittelspannungsbereich durch zusätzliche Kennwerte und Berechnungsschritte ergänzt werden (siehe den Fachaufsatz und das Excel-Tool zur Auswahl im MS-Bereich in der nebenstehenden Downloadbox).

  • J4 - Welche neuen Erkenntnisse und spezielle Festlegungen und Konkretisierungen gibt es für die Mittelspannungsebene? Wie errechnet man die Erwartungswerte der Lichtbogenenergie für Mittelspannungsanlagen?

    Für sehr grobe Abschätzungen bei Anlagen mit einer Spannung von 1 kV bis 30 kV kann man von den Richtwerten für die bezogene Lichtbogenleistung ausgehen. Für diese ist in Anhang A 3.4.4 der DGUV-Information 203-077 ein Wertebereich von 0,04 … 0,08 angegeben (siehe Tabelle 3.2).

    Für die Worst-Case-Abschätzung können darüber hinaus auch differenziertere Richtwerte für die Lichtbogenspannung verwendet werden:

    • Schaltanlagen
      • 800 V im 10 kV-Bereich,
      • 1300 V im 20 kV-Bereich
      • 1800 V im 30 kV-Bereich
    • ·Transformatoren
      • 2000 V

    Für noch genauere und detaillierte Betrachtungen unter Berücksichtigung des Elektrodenabstands wird der größere Wert der Lichtbogenspannung aus den zwei empirischen Gleichungen ausgewählt:

    • ULB = 400 V + 14,5 V/cm ∙ d (d < 15,7 cm)
    • ULB = 40 V/cm ∙ d (d ≥ 15,7 cm)

    Diese Kennwerte sind auf der Grundlage von Literaturangaben abgeleitet worden, um zu sicheren Ergebnissen zu kommen, die möglichst alle Bedingungen der Lichtbogenausbildung, der Netzparameter und der Umgebungseinflüsse, die naturgemäß eine große Bandbreite besitzen, mit abdecken bzw. einschließen. In beiden Fällen wird die bezogene Lichtbogenleistung mit den Lichtbogenspannungen nach der Näherungsgleichung kP = 0,78 ULB/UNn bestimmt. Diese leitet sich aus einem Lichtbogenmodell mit intervallweise konstanter Lichtbogenspannung ab. (siehe den Fachaufsatz und das Excel-Tool zur Auswahl im MS-Bereich in der nebenstehenden Downloadbox)