• Schemazeichnung einer Lunge mit einem fibrotischen Ausschnitt des Lungengewebes

IPA Journal 03/2025

Arbeitsmedizin Aktuell

Aktualisierung der AWMF S2k-Leitlinie

„Diagnostik und Begutachtung der Berufskrankheit Nr. 4101 Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) der Berufskrankheitenverordnung“

Die Silikose, auch Quarzstaublunge genannt, gehört zu den ältesten bekannten Berufskrankheiten in Deutschland und ist unter der BK-Nr. 4101 in der Berufskrankheitenliste aufgeführt. Vorgestellt wird die aktualisierte wissenschaftliche Leitlinie zur Diagnostik und Begutachtung der Silikose. Sie ist als praktische Bewertungshilfe von großer Bedeutung für die Diagnostik und Begutachtung der Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) als Berufskrankheit.

Quarzstaub als Ursache für Silikose

Die Silikose, auch Quarzstaublungenerkrankung genannt, wurde bereits 1929 als Berufskrankheit in die Anlage zur Berufskrankheitenverordnung aufgenommen. Sie entsteht durch das Einatmen von lungengängigem Quarzstaub mit kristallinem Siliziumdioxid und kann in verschiedenen Arbeitsbereichen wie Berg- und Tunnelbau, Steinbruch, Bauwesen, bei Sandstrahlarbeiten, in Gießereien sowie in der Glas-, Keramik-, Natur- und Kunststeinbearbeitung freigesetzt werden. Sie zählt zu den sogenannten Pneumokoniosen.

Die Silikose verläuft oft schleichend. Eine langfristige Exposition gegenüber Quarzstäuben kann zu einer fortschreitenden Fibrose – einer krankhaften, irreversiblen Vermehrung des Bindegewebes der Lunge – führen. Diese kann mit Atemwegsbeschwerden wie Husten und Atemnot bei Belastung sowie messbaren Lungenfunktionseinschränkungen einhergehen. Auch Lymphknoten im Bereich des Brustkorbes können betroffen sein. Durch Einengung der Lungenstrombahn kann es zu einer Druckerhöhung im Herz-Lungen-Kreislauf und in der Folge zu einer Mehrbelastung des rechten Herzens kommen.

Nachweis einer Silikose

Der Verdacht auf eine Silikose wird bei nachgewiesener Quarzstaubexposition in der Regel aufgrund vorhandener radiologischer Aufnahmen der Lunge geäußert. Als zentrales Diagnoseinstrument – insbesondere für die Erstdiagnose – ist heute die qualifizierte Low Dose-HRCT des Thorax etabliert. Bei begründetem Verdacht auf das Vorliegen einer Quarzstaublungenerkrankung wird im Rahmen des Berufskrankheiten-Feststellungsverfahrens in der Regel durch den Unfallversicherungsträger eine medizinisch-gutachterliche Untersuchung veranlasst.

Wird die Silikose als Berufskrankheit anerkannt, können aus Sicht der Betroffenen Ansprüche auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, wie Behandlungskosten, Rehabilitationsmaßnahmen und Rentenleistungen geltend gemacht werden.

Im Rahmen der gutachterlichen Bewertung sind neben versicherungsrechtlichen vor allem komplexe medizinische Aspekte zu berücksichtigen. Wissenschaftliche Leitlinien und Begutachtungsempfehlungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), die regelmäßig nach dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand überarbeitet werden, bilden hierfür eine wichtige Grundlage. Sie sichern einheitliche medizinische Diagnose- und Bewertungsstandards und gewährleisten eine bestmögliche medizinische Diagnosestellung sowie eine erkrankungsbezogene Bewertung der beruflichen Gefahrstoffexposition in der gutachterlichen Zusammenhangsbeurteilung. Damit unterstützen sie auch Gutachterinnen und Gutachter sowie Rechtsanwender im Berufskrankheiten-Feststellungsverfahren bei der Umsetzung des grundgesetzlich garantierten Gleichbehandlungsgrundsatzes

Wissenschaftliche Leitlinie als Grundlage für Diagnose und Bewertung

Für verschiedene Berufskrankheiten, wie auch für die Quarzstaublungenerkrankung (Silikose), sind wissenschaftliche Leitlinien der „Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V.“ (AWMF) etabliert. Die AWMF koordiniert und unterstützt dabei die Entwicklung von Leitlinien und Empfehlungen der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften.

Die AWMF S2k-Leitlinie „Diagnostik und Begutachtung der Berufskrankheit Nr. 4101 Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) der Berufskrankheitenverordnung“ wurde unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP) in einem interdisziplinären Arbeitskreis kürzlich aktualisiert und im Mai 2025 veröffentlicht (Preisser, Eisenhawer et al., 2025). Dr. Christian Eisenhawer aus dem Kompetenz-Zentrum Medizin des IPA war stellvertretender Leitlinienkoordinator.

Im Rahmen der Überarbeitung wurde die seit der letzten Fassung aus dem Jahr 2016 publizierte wissenschaftliche Literatur gesichtet und neu bewertet. Auch wurden die aus dem langjährigen praktischen Umgang mit der Leitlinie gewonnenen Erfahrungen berücksichtigt und in die nun vorliegende Version eingebracht.

In der überarbeiteten Leitlinie werden aktualisierte Diagnosekriterien sowie Differenzialdiagnosen auf den Fachgebieten der Radiologie und Pathologie dargestellt. Neben typischen Befunden der Silikose im Lungenparenchym, Hilus und Mediastinum werden auch seltene Erkrankungsformen – wie die akute Silikoproteinose und die beschleunigte Silikose – beschrieben. Hierbei handelt es sich um Krankheitsbilder, die durch hohe Siliziumdioxidstaubbelastungen über kürzere Zeiträume verursacht werden. Auch die Anerkennungsvoraussetzungen einer Sonderform der BK-Nr. 4101, der Lymphknotensilikose, werden behandelt.

Seit Langem ist bekannt, dass die Quarzstaublungenerkrankung mit einem erhöhten Risiko für Lungentuberkulose oder Lungenkrebs verbunden ist. Für beide Krankheitsbilder, die in Assoziation mit der Silikose auftreten können, werden der aktuelle wissenschaftliche Kenntnisstand dargestellt und die jeweiligen Anerkennungsvoraussetzungen als BK-Nr. 4102 beziehungsweise BK-Nr. 4112 beschrieben.

Erforderliche medizinisch diagnostische Untersuchungen

Bei Anerkennung der Berufskrankheit ist die Beurteilung von BK-bedingten Krankheitsfolgen – insbesondere der durch eine Silikose verursachten Einschränkungen der Lungenfunktion – im versicherungsrechtlichen Sinn von Bedeutung. Nach der aktuellen wissenschaftlichen Datenlage zählen dazu die sogenannte obstruktive und restriktive Ventilationsstörung, die Lungenüberblähung sowie die Störung des Gasaustauschs. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Beschwerden, funktionelle Einschränkungen und das Ausmaß radiologisch fassbarer Befunde einer Silikose nicht zwangsläufig eng miteinander korrelieren.

Die Leitlinie behandelt daher umfassend die für die Begutachtung erforderlichen medizinisch-diagnostischen Untersuchungen und deren Bewertung. Im Vordergrund steht die qualitätsgesicherte Erhebung pulmonaler Funktionseinschränkungen und deren Bewertung nach aktuellen Leitlinien und Empfehlungen unter Berücksichtigung der jeweiligen altersbezogenen Referenzwerte.

Für die Beurteilung der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) werden unter anderem die jeweiligen Schweregrade der Funktionseinschränkung definiert. Ergänzend liefert der Belastungstest wichtige Informationen zur pulmonalen Leistungsfähigkeit. Hierfür sind verschiedene Methoden in der medizinischen Begutachtungspraxis etabliert. Aus wissenschaftlicher Sicht empfiehlt die Leitlinie insbesondere die Spiroergometrie als bevorzugte Methode. Sie ermöglicht neben den klassischen Lungenfunktionsverfahren wie Spirometrie, Bodyplethysmographie und Diffusionsmessung eine Identifizierung der leistungslimitierenden Faktoren im Herz-Kreislauf-, Atmungs- und Muskelsystem.

Die lungenfunktionellen Einschränkungen sind grundsätzlich ein Baustein der abschließenden gutachterlichen Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE). Unter Berücksichtigung weiterer beurteilungsrelevanter Aspekte – wie anamnestischer Angaben, klinischer Befunde und erkrankungsspezifischer Therapie – beinhaltet die aktualisierte Leitlinie einen Vorschlag zur MdE-Bewertung. Dieser orientiert sich an der Reichenhaller Empfehlung zur Begutachtung berufsbedingter obstruktiver Atemwegserkrankungen (Preisser et al., 2024).

Neben den primären Aspekten zur BK-Nr. 4101 ergaben sich im Rahmen der umfangreichen Literaturrecherche als Teil der Überarbeitung der Leitlinie auch Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen einer zurückliegenden Quarzstaubexposition (ohne Silikose) und (auto-)immunbedingten beziehungsweise entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Eine Sichtung und Bewertung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes durch den Ärztlichen Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten hinsichtlich einer möglichen Anerkennung als Berufskrankheit wurde angeregt.

Fazit

Die Leitlinie richtet sich mit der aktualisierten Darstellung des derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstandes insbesondere an ärztliche Gutachterinnen und Gutachter sowie an Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter der Unfallversicherungsträger. Sie dient der fachlich und wissenschaftlich fundierten Beurteilung des Zusammenhangs zwischen beruflicher Quarzstaubexposition und Silikose-Erkrankung. Die aktualisierte S2k-Leitlinie ist eine wichtige Grundlage für die Diagnosestellung und Bewertung von berufskrankheitenbezogenen Funktionseinschränkungen und der damit verbundenen Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Zugleich fördert sie eine einheitliche gutachterliche Bewertungspraxis im Sinne der Gleichbehandlung von Versicherten. Sie stärkt die Nachvollziehbarkeit und damit die Akzeptanz von medizinisch-gutachterlichen Bewertungen sowie der darauf basierenden verwaltungsseitigen Entscheidungen – sowohl bei den Betroffenen als auch bei den Unfallversicherungsträgern und der Sozialgerichtsbarkeit.

Kurz gefasst

  • Die Quarzstaublunge – auch Silikose genannt – ist eine der ältesten Berufskrankheiten in Deutschland.
  • Die Silikose entsteht durch das Einatmen von lungengängigem Quarzstaub. Berufliche Expositionen gibt es in verschiedenen Branchen. Die meisten Fälle in Deutschland wurden im untertägigen Bergbau beobachtet.
  • Die aktualisierte Leitlinie berücksichtigt aktuelle Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Literatur sowie die Erfahrungen aus dem praktischen Umgang mit der bisherigen Leitlinie.

Info

Quarz-bedingte Lungenerkrankungen

  • BK-Nr. 4101 „Quarzstaublungenerkrankung (Silikose)“
  • BK-Nr. 4102 „Quarzstaublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose (Siliko-Tuberkulose)“
  • BK-Nr. 4112 „Lungenkrebs durch die Einwirkung von kristallinem Siliziumdioxid (SiO2) bei nachgewiesener Quarzstaublungenerkrankung (Silikose oder Siliko-Tuberkulose)“
  • BK-Nr. 4117 „Chronische obstruktive Bronchitis einschließlich Emphysem durch Quarzstaubexposition bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis am Arbeitsplatz von mindestens zwei Quarz-Feinstaubjahren [(mg/m3) x Jahre] oberhalb der Konzentration von 0,1 mg/m3

Preisser A, Eisenhawer et al. Begutachtung der Berufskrankheit Nr. 4101 Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) der Berufskrankheitenverordnung. 2025 https://register.awmf.org/assets/guidelines/020-010l_S2k_Diagnostik-Begutachtung-Berufskrankheit-4101-Quarzstaublungenerkrankung-Silikose_2025-05.pdf (barrierefrei)

Preisser et al. Empfehlung für die Begutachtung der Berufskrankheiten der Nummern 1315 (ohne Alveolitis), 4301 und 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) – Reichenhaller Empfehlung. 2024https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/ article/1946 (barrierefrei)